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Mann ohne Macken

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Leutkirch / sz - Gibt es ihn wirklich, diesen leibhaftigen „Traum aller Schwiegermütter“? Nun, der TV-Moderator Jörg Pilawa, der am Mittwochabend im „Talk im Bock“ zu Gast war, mag seine Macken haben. Muss ja so sein. Aber selbst wenn, wusste er diese beim Talk mit Raimund Haser zu verbergen – und dürfte sich somit bei den anwesenden Müttern für die engere Auswahl qualifiziert haben.

Ob man Jörg Pilawa als den TV-Moderator mit den meisten Verweilstunden auf deutschen Bildschirmen wahrnimmt, hängt vom Sehverhalten ab. Denn der smarte Hamburger moderiert vor allem Ratesendungen im Vorabendprogramm. Wer grundsätzlich erst zur „Tagesschau“ einschaltet, hat wenig vom Dauerbrenner „Das Quiz mit Jörg Pilawa“ mitbekommen, einem der erfolgreichsten Formate der ARD vor 20 Uhr, das bis 2010 immerhin neun Jahre lang auf Sendung war. Aber dann gab es ja noch die Abendshow „Frag doch mal die Maus“, „Deutschlands Superhirn“, „Der Superchampion“, „Rette die Million“, und, und, und. Pilawa räumt auf Nachfrage von Raimund Haser ein, dass er sich selbst kaum an jede einzelne seiner Quizsendungen erinnern könne.

Nicht nur Freunde haben ihm die Dauerpräsenz und seine unaufgeregte Art eingebracht. Aber siehe da, der gute Jung‘ kann auch scharf schießen, wenn auch mit einem Lächeln: Das Überangebot an Talk-Formaten seiner Kollegen führe dazu, dass man eine Talkshow nicht von der anderen unterscheiden könne, so Pilawa in Leutkirch. Da bleibe er doch lieber bei seinen Quizsendungen.

Einst Verkäufer für Männermode

Wie viele prominente Moderatoren, produziert Pilawa seine Sendungen inzwischen selbst mit seiner Firma „Herr P“. Somit sichert er sich die Rechte an den Formaten und verdient auch noch Geld damit, wenn er selbst gar nicht mehr als Moderator auf der Bühne steht. Als cleverer Geschäftsmann outet er sich ohnehin, hat er doch seine weit zurückliegenden Erfahrungen als Verkäufer von Männermode genutzt, um nun in einem eigenen Geschäft Maßanzüge anzubieten.

Nehmerqualitäten musste Pilawa beweisen, als seine neue Ratesendung das „Quizduell“ zum TV-Desaster des Jahres 2014 wurde. Als er nämlich am 12. Mai erstmals im ARD-Vorabendprogramm auf Sendung ging („noch eine halbe Stunde vor Beginn hieß es, alles sei technisch kein Problem!“) und die Fernsehzuschauer mit einer App live gegen die Studiokandidaten antreten sollten, brach nach der ersten Frage das System zusammen. Die Raterunde endete damit, dass Zuschauer ihre Antworten per Fax ins Studio schickten und in künftigen Sendungen Studiopublikum die deutsche Internetgemeinde ersetzt hat.

Heute räumt der damals mit Häme übergossene Pilawa ein, dass das „Quizduell“ ohne die Dauerpannen wohl nie Thema in allen Medien gewesen wäre. „Spiegel Online“ bescheinigte ihm gar die beste Krisenmoderation seit Marcel Reifs und Günther Jauchs „Torfall von Madrid“, als die beiden 1998 mit ihrem Dampfgeplauder eine Stunde Wartezeit überbrückten. Die ARD jedenfalls hält an der Idee, die Zuschauer per App zu beteiligen, fest. Am 2. Februar 2015 geht „Quizduell“ wieder auf Sendung. Mit Pilawa und einer IT-Abteilung, die ihm jetzt schon bestätigt, dass alles „kein Problem“ sei. Man wird sehen.

Es sind Fehler wie diese, welche nach Meinung des Moderators das Fernsehen menschlicher und interessanter machen. Als seine TV-Karriere 1996 in der Sat.1-Sportsendung „ran“ begann, wurden viele Sendungen noch live oder zumindest in Echtzeit gedreht und gesendet. Inzwischen werden die meisten Shows aus Kostengründen aufgezeichnet und nachträglich geschnitten, was seiner Meinung nach das Leben aus den Sendungen nimmt. Aber man merkt ihm an, dass er sich nicht verbohrt in diese Problematik. Er wirkt wie einer, der seinen Job gerne macht – aber den Job nicht mit dem eigentlichen Leben verwechselt. Das findet woanders statt. Vor allem in seiner Familie im Hamburger Stadtteil Bergedorf, bei seiner Frau Irina, der Tochter des bekannten Zukunftforschers Horst Opaschowski, und den vier Kindern. Seine Entscheidung vor vier Jahren, eine längere Auszeit mit seiner Familie zu nehmen, dürfte von Kennern der Branche belächelt worden sein. Und wahrscheinlich hat er schon damals souverän zurückgelächelt, so wie nun in der Leutkircher Festhalle.

Von seinem Familienleben gibt Pilawa mehr Preis als andere Promis, erzählt, wie er seine Frau kennengelernt hat, als sie in seiner Show das Warm-up fürs Publikum gemacht hat. Wirklich ereifern kann er sich über Mängel in der Bildungspolitik, spricht schon vor dem eigentlichen Talk mit Verve von einer Benachteiligung der Jungen im Schulsystem, von der Versagensangst, die den Spaß am Lernen zunichtemache. Er fordert, das Fach „Soziale Kompetenz“ in den Lehrplan fest mit aufzunehmen, zweistündig und mit einer Note im Zeugnis. Ja, wenn’s um Kinder und Erziehung geht, legt er fast mehr Leidenschaft an den Tag als in seinen Shows. Wahrscheinlich wäre er auch ein guter Lehrer geworden, was nach einem abgebrochenen Medizinstudium („Das Fernsehen ist ein Sammelbecken aller Studienabbrecher!“) auch sein Berufsziel war. Aber die Rampensau in ihm war dann doch stärker.

Allerdings nicht stark genug, um vor zwei Jahren den „riesigen Tanker“ namens „Wetten, dass…?“ zu übernehmen. Das hat er seinem Freund Markus Lanz überlassen, den er für einen guten Talker hält. Aber das Maß aller Dinge für eine solche Mammut-Show sei eben doch Thomas Gottschalk.

Jörg Pilawa weiß eben, was er kann – und was nicht. Oder nicht immer. Denn als er beim Talk im Bock die Liste mit den Namen der Spender für die Weihnachtsaktion vorlesen soll, sind selbst die Arme des großen Blonden nicht lange genug und er muss sich eine Lesebrille aus dem Publikum leihen. Auch Traum-Schwiegersöhne sind nicht gefeit vor kleinen Altersgebrechen. Später gesteht er, der im kommenden Jahr 50 Jahre alt wird, dass er zu eitel für eine Lesebrille sei. Endlich ein Makel…


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