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Bariton singt in familiärer Atmosphäre

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Leutkirch / sz - Einen etwas anderen Liederabend hat es am Samstagabend im Leutkircher Bocksaal gegeben. Bei diesem außergewöhnlichen Konzert war Bariton Franz Xaver Schlecht zuhören. Der Solist war Mitglied der bayerischen Singakademie und studierte an den Musikhochschulen in Augsburg, Leipzig und Würzburg. In Leutkirch wird er am kommenden Wochenende in der Johannes- Passion von Johann Sebastian Bach ein weiteres Mal zu hören sein.

Unter dem Motto "In Schuhen Anderer. Gesungene Bekenntnisse" kamen zwei Liederzyklen zur Aufführung. Im ersten Teil wurde von dem Augsburger Komponisten Johann Peter Gampl ein Zyklus aus fünf Liedern nach Texten von Andreas Gryphius, Heinrich Heine, Eduard Mörike und Hermann Hesse uraufgeführt. Es war in Leutkirch der dritte Abend dieser Uraufführungsreihe. Die Thematik all der Lieder lässt sich unter einen Nenner bringen: Da geht es um kein Sommerprogramm, sondern um grundlegende Fragen der menschlichen Existenz.

Zeitlose Lyrik mit tiefer Aussage

Am Ende dieses interessanten Liederabends beantwortete wohl jeder der etwa 20 Zuhörer die Fragen: " Was ist der Mensch? Was machen die Lieder mit mir?" unterschiedlich. Diese zeitlose Lyrik mit tiefer Aussage, an der sich schon viele Komponisten versucht haben, faszinierte auf eindringliche Art und Weise. Immer wieder gelingt es Komponisten, neue Dimensionen aufzuzeigen. Die Vertonung des Gryphius-Gedichts "Es ist doch alles eitel", ein Text aus der Barockzeit, der die deprimierte Stimmung der Menschen, die den dreißigjährigen Krieg erleben mussten und das Glück hatten, überlebt zu haben, aufgreift, ist musikalisch geprägt von Reibungen, Dissonanzen und einer alles andere als optimistisch bestimmten Grundstimmung. Der Solist setzte diese Dunkelheit auch in seinem Timbre um. Die Vertonung des Hesse-Gedichts "Seltsam im Nebel zu wandern" beginnt in einer extremen, hohen Lage des Klaviers, wobei die Tonfolgen zielgerichtet immer mehr nach unten tendieren und von vielen Seufzermotiven durchdrungen sind. Der Dichter kommt zu dem Ergebnis, dass der Mensch letztendlich alleine bleibt, ein zwar pessimistisch stimmender Ausgang, der aber durchaus die Realitäten des Lebens im innersten Kern trifft. Im Text von Eduard Mörike ("Gebet") gibt sich das lyrische Ich unter die Führung Gottes, indem es darum bittet, im Leben sowohl freudige als auch leidvolle Erfahrungen in einem ausgeglichenen Maße zu erleben. Hier wurde im Zwischenteil auf dem Klavier eine Fuge angedeutet und ein in Dur klingender Akkord verweist auf die Zuversicht des Bittenden.

Vor dem zweiten Teil gab es eine kurze Umbaupause, um die szenische Umsetzung der Texte "Die Stimmen" , 1906 von Rainer Maria Rilke verfasst, vorzubereiten. Vertont wurde dieser Zyklus von Antal Doräti im Jahre 1975. Immer noch musikalisch sich in der klassischen Moderne bewegend, gab es bei diesen Porträts von Menschen, die sich am Rande der Gesellschaft befinden, atonale Klangzustände.

Stimmung vortrefflich getroffen

Der Blinde, der in einem endlosen Schreien auf seine prekäre Situation aufmerksam macht, wird von sich reibenden Klangclustern untermalt, der Solist steuert in extremer Artikulation das Seine dazu bei. Zerhackte Töne, die die Zerrissenheit darstellen, sind ein Merkmal dieser Vertonung. Es tun sich Abgründe auf, ein Trinker klagt von seinem Leid, ein Selbstmörder gibt seine Lebensmüdigkeit preis, verstörend wirkt hier die Musik. Ein Idiot tritt auf, der in einem verfremdeten Walzer die Skurrilität seiner Situation zum Ausdruck bringt. Bedrückend aktuell spricht der Waise von seiner von Verzweiflung geprägten Hoffnungslosigkeit. Mit Nachdruck untermalt durch seinen professionellen Gesang, der die Stimmung der jeweiligen Situation vortrefflich trifft, Franz Schlecht. Rainer Maria Rilke muss anfangs des 20. Jahrhunderts, als er Paris besuchte, von dieser Großstadt schockiert gewesen sein, ein abstruser Moloch, übersät mit gestrandeten Existenzen, um deren Schicksal sich niemand kümmert. Auf eine sehr positive Zuschauerresonanz stieß diese Musik der klassischen Moderne.

Auch die dunklen Themen der menschlichen Existenz sind es wert, überdacht zu werden. Eine Aufarbeitung ist zumindest besser als eine Verdrängung dieser Realitäten. In einer fast familiären Atmosphäre berührte die Zuhörer diese Musik, von einem exzellenten Bariton verkörpert und auf dem Klavier (Kilian Sprau) eindrucksvoll gedeutet und in ihrer Aussage vertieft.


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