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Ein "schüchternes Zeichen der Kapitulation"

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Leutkirch / sz - 8. Mai 1945: Deutschland erklärt die bedingungslose Kapitulation, der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. 70 Jahre sind seit diesem historischen Datum vergangen, doch die Ereignisse jener Tage und Wochen sind vielen Zeitzeugen bis heute unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt. Auch in Leutkirch, das die Schreckensjahre in relativer Ruhe überstanden hatte. Von Mitte April 1945 an überschlugen sich allerdings auch hier die Ereignisse. In einer kleinen Serie blickt die SZ auf jene Tage zurück.

"Wie von einem Wirbel war unsere Stadt erfasst und verwandelt. Ausgebombte und Evakuierte drängten sich in den Wohnungen. Soldaten zogen durch die Straßen, ohne recht zu wissen, was für einen Sinn ihre Uniform noch hatte." So erinnerte sich der verstorbene Ehrenbürger Emil Vogler an jene letzten Kriegstage im April 1945. Ganz Ähnliches hat Elmar Scheffold, ehemaliger Lokalchef der Schwäbischen Zeitung Leutkirch, festgehalten: "Die Stadt war überfüllt von Flüchtlingen, Evakuierten aus den ausgebombten Städten, versprengten Militäreinheiten, mit Kriegsgefangenen und mit ausgelagerten Behörden."

So war etwa die Reichsbahndirektion von Stuttgart nach Leutkirch verlegt worden und ganze Schulklassen samt ihren Lehrern wurden von der Landeshauptstadt ins vermeintlich sichere Allgäu evakuiert. "Die Anzahl der Bewohner von Leutkirch war somit über das Doppelte des Friedensstandes angestiegen", schreibt Scheffold.

Wenige authentische Berichte aus dieser Zeit

Auch wenn es nur wenige authentische Berichte aus dieser Zeit gibt und erst recht kaum Fotos, wie Stadtarchivarin Nicola Siegloch sagt, so sind doch die einschneidenden Ereignisse bis heute präsent. Die beiden Fliegerangriffe vom 26. und 27. April 1945 etwa: Am 26. war der Leutkircher Bahnhof das Ziel von Tieffliegern, die dort stehende Militärzüge zerstören sollten. Zwei Menschen kamen dabei ums Leben.

Am 27. April traf ein weiterer Angriff die Untere Vorstadt, Sechs Menschen starben, unter anderem die Bewohner eines landwirtschaftlichen Anwesens. Und es gab noch einen weiteren tragischen Vorfall, der diesen Tag zum "Schwarzen Freitag" für Leutkirch machte: An eben diesem 27. April bezahlten Josef Luz und Michael Maischberger den Versuch, Panzersperren in der Memminger Straße abzubauen, mit ihrem Leben. Ihre mutige Tat hat dennoch sinnloses Blutvergießen verhindert und die Stadt Leutkirch vor Schaden bewahrt. So steht es auf einer Gedenktafel an der Memminger Straße zu lesen, mit der die Stadt an die beiden Männer erinnert.

Insgesamt acht Panzersperren waren von Volkssturm und Wehrmacht in Leutkirch errichtet worden, allesamt an den Einfallstraßen in die Stadt. Für deren Abbau angesichts der Aussichtslosigkeit des Kriegsgeschehens hatte sich bereits am 25. April eine Gruppe von Bürgern stark gemacht, darunter Verleger Max Drexler, Rechtsanwalt Kiechle, Hugo Härle und Otto Krimmer. Beim damaligen Bürgermeister Walter Reichert forderten sie, Leutkirch zur offenen Stadt zu erklären – ohne Erfolg. So kam es, dass einzelne Bürger selbst aktiv wurden und unter Lebensgefahr die Sperren beseitigten.

Nicht zuletzt aufgrund dieser mutigen Taten gingen der Einmarsch der Franzosen und die Übergabe der Stadt am Samstag, 28. April 1945, ohne Blutvergießen und auch weitgehend ohne Plünderungen vor sich. Zwar gibt es keine Fotos von diesem Ereignis, doch im Bericht von Josef Notheis, damals stellvertretender Chefredakteur der Donau-Bodensee-Zeitung, heißt es: "An den Türklinken und aus den Fenstern hing allenthalben ein Nachthemd oder sonst ein Tuch als schüchternes Zeichen der Kapitulation."

Vermutlich Deserteure

Seine bereits im Oktober 1945 erschienene Chronik, 133 DIN-A-4-Seiten stark, mit Schreibmaschine verfasst, wird im Leutkircher Stadtarchiv aufbewahrt und hält auch eher kuriose Details fest: "Aufgefallen ist", heißt es dort etwa, "dass auf den weiter einfahrenden Panzern Hähne und Hennen und sonstiges Geflügel lebend obenauf mitgeführt wurden."

Für 15 deutsche Soldaten kam das Kriegsende allerdings um einige Tage zu spät: Am 26. April, einem Donnerstagnachmittag, wurden sie in einem Waldstück nahe Diepoldshofen erschossen. Warum, ist bis heute nicht endgültig geklärt. Vermutlich handelte es sich bei den Männern zwischen 20 und 31 Jahren um Deserteure. Ihre nur notdürftig verscharrten Leichen wurden auf Veranlassung der Franzosen später umgebettet.

Dramatisches hat sich auch noch am 30. April ereignet: Bei einer Explosion im Rathaus kamen vier Jugendliche ums Leben, außerdem gab es mehrere Verletzte. Im Untergeschoss des Rathauses waren die abgelieferten Waffen samt Munition gelagert, ein Besatzungssoldat hatte eine Signalpistole mit Leuchtmunition ausprobiert und dabei die Explosion verursacht.

Der dadurch ausgelöste Brand konnte rasch gelöscht und damit das altehrwürdige Rathaus gerettet werden, "so dass der Stadt ihr schönes Rathaus erhalten blieb", wie Emil Vogler in seiner Leutkirch-Chronik schreibt.


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