Leutkirch / sz - Herwig Josef Metz ist gerade einmal zehn Jahre alt gewesen, als die Franzosen in seine Heimatstadt einmarschierten. Er hat trotzdem noch viele Erinnerungen an die damalige Zeit.
"Nachts hörten wir Flugzeuggeräusche. Man sagte uns, es seien die Alliierten gewesen", erzählte mir mein Grossvater. Die Alliierten versuchten den Standort der Munitionsanstalt ausfindig zu machen. Sie hofften, dass ein Kriegsgefangener, der dort arbeiten musste, ihnen ein Signal, wie zum Beispiel die Lichtreflektion des Mondes auf einer Scherbe, geben würde.
Aber auch am hellen Tag flogen Tiefflieger der Franzosen über die Stadt und eröffneten Sperrfeuer. Einmal kam er dabei fast ums Leben, als er mit seinem Spielgerät, das "Holländer" genannt wurde, unterwegs war.
"Während des Kriegs hatten wir zum Teil wochenlang keine Schule, da die männlichen Lehrer fehlten. Wenn wir Unterricht erhielten, dann nur von Lehrerinnen", erinnerte sich Herwig Metz. Mit einem Lächeln fügte er hinzu: "Wir hatten kein Problem damit, denn das bedeutete für uns viel Zeit zum Spielen."
Fenster mit Farben bestrichen
In der Nacht musste alles immer dunkel sein. "Sogar die Fenster waren mit Farben bestrichen. Aber irgendein Fenster an der Schule musste verräterisch gewesen sein, denn die Alliierten warfen mitten in der Nacht eine Bombe ab", berichtete der 79-Jährige. Es war die einzige Bombe, die in Leutkirch abgeworfen wurde.
"Es war so ein lauter Knall, dass ich dachte, jetzt muss ich sterben. Erstaunt stellte ich aber fest, dass ich noch denken kann, also noch am Leben bin", sagte er mir. Am nächsten Morgen wurde der riesige Bombenkrater bestaunt. Auch heute ist er noch hinter der Schule sichtbar (östlich des südlichen Flügels der Grundschule Oberer Graben). Die Schule wurde später zu einem Krankenhaus umfunktioniert. Auf das Dach wurde das Zeichen des Roten Kreuzes gemalt. Viele Ärzte gab es aber nicht, denn sie wurden für den Krieg gebraucht. Die Schulklassen wurden auseinander gerissen und die Kinder an verschiedenen Orten, wie Hotels, Gasthäuser oder Tanzschulen, unterrichtet. Heute wird das Gebäude wieder als Schule benutzt.
Um Essen gebettelt
Sie hätten es während des Krieges nicht einfach gehabt, schilderte er. Sie hatten nichts zum Essen und er klapperte jeden zweiten Tag Bauernhöfe der Umgebung ab und bettelte um Essen. Sein Vater hat in der Zenit gearbeitet. Sie stellten zu dieser Zeit Rohlinge für Tellerminen her. Sein Vater erzählte ihm später auch, dass er nachts, nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Kinder am Schlafen waren, den Schweizer Radiosender "Beromünster" hörte, um wirkliche Informationen zum Kriegsverlauf zu erhalten. Im deutschen Radio lief nur Propaganda.
Auch an die geplante Sprengung der Muna, die Terminverschiebungen und das Kriegsende kann er sich gut erinnern. "Ich habe nur etwas von der geplanten Sprengung mitbekommen, weil ich in der Stadt gelebt habe. Die Leute, die auf Höfen oder in den Dörfern lebten, bekamen nicht so viel mit", sagte mein Grossvater. Als Vorbereitung sollten sie immer die Türen und Fenster öffnen, Bilder abhängen und unter den Tisch liegen. Sie waren genervt, dass die Sprengung immer wieder verschoben wurde. Sie wollten, dass es endlich geschieht, damit sie wieder ihre Ruhe hätten. Hätten sie gewusst, dass nahezu 10000 Tonnen Giftgas in der Muna gelagert wurden, hätten sie sich sicher nicht über die Verschiebungsaktionen lustig gemacht.
Das Kriegsende war nicht friedlich. In Leutkirch mussten die Bürger an Ausgangstrassen Panzersperren errichten um die Franzosen abzuwehren. Ein Teil der Bevölkerung war damit nicht einverstanden. Sie wollten nicht, dass der Ort von den Franzosen zerstört wird und haben deshalb in der Nacht die Sperren zerstört. Der Vater eines Freundes von Herwig Metz, Michael Maischberger, hat daran teilgenommen. Man hat gezielt nach ihm gesucht und er wurde auf offener Strasse erschossen. Danach wurde er zur Abschreckung drei Tage auf der Strasse liegengelassen. Als die Franzosen am 28. April 1945 einmarschierten, wurden sie freudig von den Leutkirchern begrüsst. Man war froh, dass der Krieg endlich zu Ende war.