Leutkirch / sz - Pappe ist nicht allein dazu da, um daraus Kartons zu fertigen, die einer bestimmten Sache dienen. Ihrer Funktionalität enthoben, kann aus ihr Kunst werden. Das ist rückblickend nicht neu, doch jedes Mal anders. So auch im Falle der Werke von Ursula Geggerle-Lingg, die auf Einladung des Galeriekreises Leutkirch am Sonntag in der Galerie im Kornhaus ihre Ausstellung "Raum und Spur" eröffnet hat.
Rund 40 Werke, die sich entlang der Ausstellungswände und auf dem Boden entfalten, zeigt die 1957 in Neu-Ulm geborene Künstlerin in Leutkirch. Ihr Bezug zur Allgäu-Stadt, so Bürgermeister Martin Bendel, ist ein verwandtschaftlicher zu der Ärztin Angela Lingg. Sie ist die Schwester von Geggerle-Linggs Ehemann. In deren Leutkircher Praxis hat sie vor 19 Jahren schon einmal ausgestellt und nun ist sie wieder da – mit neuen Arbeiten zum Thema Raum und Fläche.
Saxophonist Christian Segmehl bereicherte die Vernissage musikalisch, während Wolfgang Mennel aus Augsburg in den Werkprozess einführte. Sehr plastisch, als er vor zahlreichen Gästen die indirekte Frage stellte, wie viel Kulturraum ein Mensch beanspruche. Als Experiment könne man in eine Regentonne steigen und dann den Wasserüberlauf messen, um den überschüssigen Raum zu berechnen. Ein anderes schönes Bespiel als Hinführung auf Geggerle-Linggs Werk ist die Darstellung des Münchner Marienplatzes auf einem Stadtplan als gelben Punkt und demgegenüber das Wissen um dessen realen Ausmaße. Vom Auseinanderklaffen zwischen einzelnen Seherfahrungen handeln die minimalistisch geformten Arbeiten.
Geggerle-Lingg verwendet Kartonagen, faltet sie auseinander, um Fläche und Struktur neu zu entdecken. Im Sinne einer Metamorphose, die mehrere Wandlungsstufen durchlaufen kann. Vom Fixieren der Pappe auf Holz, vom Bemalen mit transparenten und lasierenden Farbflächen, vom Hineinritzen einzelner Linien, die zugleich darunter Liegendes wieder freilegen. Die dunkel getönten Holzplatten am Boden beanspruchen mit ihren freien geometrischen Formen Raum und hinterlassen eine Spur. Sie sind ebenso auf Masse und Material konzentriert wie die Raumkörper entlang der Wände. Sie geben Netzwerke zu erkennen, die sich in der Vorstellung des Betrachters endlos erweitern ließen. Bis hin zum Dreidimensionalen im Falle von "Tisch auf Weiß" und umgekehrt als komplexe lineare Zeichnung auf hellem Karton.
Eine stille und poesievolle Art
Dessen Umrisse wiederum kooperieren mit den Bodenarbeiten. "Barock" nennt sich eine fünfteilige Serie, die ausschnittartig Kirchengrundrisse assoziiert. Nüchtern und sehr wohl überlegt, wirken die plastischen Objekte, bei denen, so Mennel, der Betrachter Zeuge einer mehrfachen Metamorphose werde. Und das auf eine stille und poesievolle Art, die eingefahrene Sehschablonen ausblendet und stattdessen viel Raum lässt für eigene Gedanken.
Die Ausstellung "Raum und Spur" von Ursula Geggerle-Lingg in der Galerie im Kornhaus dauert bis 21.November. Sie ist geöffnet montags von 9 bis 18 Uhr, mittwochs von 14 bis 18 Uhr, donnerstags von 10 bis 12 Uhr und 14 bis 19 Uhr, freitags von 14 bis 18 Uhr und samstags von 10 bis 12 Uhr.