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Der Schatz in der Kirchturmkugel

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Leutkirch / sz - Seit 30 Jahren betreibt Claudia Marzari Geschichtsforschung. "So etwas habe ich aber noch nie in den Händen gehabt", sagt sie. Was Marzari meint, sind Schriftstücke, die Hunderte von Jahren über den Dächern von Willerazhofen lagen – in der Kirchturmkugel. Im Zuge der Kirchenrenovierung kamen sie nun zum Vorschein.

"Als ich das erste Mal auf dem Kirchturm war, habe ich gedacht, da ist nichts mehr in der Kugel drin", sagt Ortsheimatpfleger Manfred Wiedemann. Als die Kugel zum Restaurieren schließlich abgenommen wurde, entdeckte er aber mit Elmar Herrmann, dem stellvertretenden Kirchengemeinderats-Vorsitzenden, und Kirchengemeinderat Harald Schuhmacher, die Kapsel mit den Schriftstücken aus den Jahren 1822, 1862 und 1884. Ein besonderer Fund.

Wirbelsturm in Willerazhofen

"Immer, wenn die Kapsel aufgemacht wird, müssen aktuelle Schriftstücke beigelegt werden", sagt Marzari. Drei Mal wurde die Kugel demnach schon geöffnet. Marzari selbst, wolle etwas über die Auswirkungen des Wirbelsturms Lothar in Willerazhofen schreiben und beilegen. Außerdem sollen Handwerker der derzeitigen Kirchenrenovierung und diejenigen, die bei der Kapselöffnung dabei waren, genannt werden. Auch Wiedemann. "Flaschner Tinnemayer aus Beuren öffnete die Kapsel vorsichtig mit dem Gasbrenner. Dabei durfte nichts kaputt gehen", erzählt er.

Säurefreies Papier

Für die Haltbarkeit der Schriftstücke suche sie noch säurefreies Papier, so Marzari weiter. Die Ahnenforscherin hatte alle drei Schriftstücke in alter, handgeschriebener Schrift übersetzt – an einem Abend. "Ich konnte nichts davon lesen", sagt Wiedemann. Deshalb habe man sich an die Expertin gewandt. "Durch Übung habe ich mir das Lesen von alten Schriften selbst beigebracht", sagt Marzari. Schriften aus Kirchturmkugeln habe sie bislang aber nicht übersetzt. "Nur wenigen Kirchen haben eine Kugel drauf", sagt Wiedemann. Der Grund: Die meisten hätten ein Satteldach.

"Wir in Willerazhofen haben ein Spitzdach, da kann man nur eine Kugel drauf machen", so der Ortsheimatpfleger weiter. Viele Jahre hat die Kugel auf dem Willerazhofer Kirchturm in etwa 36 Metern Höhe Wind und Wetter überlebt, Einschusslöcher zeugen von den Kriegsjahren. Und dennoch: "Die Kapsel war so gut verplombt, dass kein Wasser die alten Schriftstücke zerstören konnte", sagt Marzari. Das freue sie sehr.

Vielmehr aber begeistere sie die Information, die in den Schriftstücken niedergeschrieben wurde. So könne man herauslesen, dass die vier Ortschaften Willerazhofen, Lanzenhofen, Ellerazhofen und Sonthofen 1806 eine Bitte an König Maximilian von Bayern richteten, einen eigenen Pfarrer zu bekommen. In ihrer Häuserchronik, die Marzari vor einiger Zeit geschrieben hatte, ging sie ebenfalls auf das Thema ein. "Ich konnte es aber nie zeitlich einordnen, da das Archiv in Herlazhofen erst 1810 beginnt."

Nun wolle sie das Gegenstück im Münchner Staatsarchiv suchen, um noch mehr darüber zu erfahren. "Durch die Jahreszahl kann ich die Suche nun eingrenzen", sagt Marzari. Besonders spannend für die Geschichtsforscherin: "Die Schriftstücke stammen von Zeitzeugen, die alles selbst miterlebt haben." Wenn das Wetter so bleibt, soll die 80 Zentimeter hohe und im Durchmesser 60Zentimeter große Kupferkugel heuer noch zurück auf den Kirchturm von St. Margareta gesetzt werden – betoniert auf einen Pfosten, zum Schutz vor Wind und Wetter. Zunächst steht aber das Überarbeiten der Einschusslöcher und das Vergolden an, dann das Befüllen und Schließen der Kapsel. "Sie muss rundum verlötet werden, das ist wichtig", sagt Marzari. Denn, so stehe es schon in der Schrift von 1862, wenn die Kugel vom Rost zerfressen wird, verfaulen auch die Dokumente. Und das dürfe nicht passieren.


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