Marianne Müller (Name von der Redaktion geändert) ist verzweifelt. „Ich weiß nicht, wie ich mein Öl für den Winter bezahlen soll“, sagt die 70-Jährige. Das mache sie traurig. Müller greift nach einem Sommerkleid, das sie im Leutkircher Secondhand-Laden Magita entdeckt hat. „Vor lauter Kummer habe ich abgenommen, mir passt nichts mehr“, sagt sie.
Während Müller erzählt, fließen Tränen über ihr Gesicht. Ihr ganzes Leben habe sie gearbeitet, Ausbildungen im Einzelhandel und im Fernmeldewesen absolviert. Nun lebe sie in Armut.
571 Euro Rente und 158 Euro Grundsicherung erhält die Leutkircherin. 310 Euro für Miete und Kosten für Versicherungen, Tierarzt und Grabpflege müssen davon bezahlt werden. „Da bleibt nicht mehr viel“, sagt Müller. Vor allem, weil sie ihre Tochter mitfinanziert. „Als 2007 mein Schwiegersohn starb, hab ich sie bei mir aufgenommen“, sagt die Rentnerin.
Eigentlich wollte sie nie auf Hilfe angewiesen sein. Mittlerweile gehe es ohne Tafel, Caritas und Einrichtungen wie Magita aber nicht mehr. „Ich bin sehr froh, dass es diese Unterstützung gibt.“
Oftmals alleinstehende Frauen
So wie Müller geht es in Leutkirch einigen. 154 Personen, die nicht in Senioren- oder Pflegeheimen leben, erhalten Grundsicherung im Alter. Die meisten davon sind alleinstehende Frauen.
Knut Immeke, Leiter des Kreissozialamts in Ravensburg, erklärt den Grund: „Männer haben meist höhere Renten, da Frauen oftmals nur mit der Kindererziehung beschäftigt waren.“ Auch Karl-Heinz Steur von der Caritas-Stelle in Leutkirch sieht das so. „Wir haben immer wieder Klienten, die Grundsicherung im Alter empfangen“, sagt er. Im Seniorenzentrum Carl-Josef zeigt sich ein ähnliches Bild. Etwa 40 Prozent der Bewohner werden, so Leiterin Simone Simon, vom Sozialamt unterstützt.
Oft sind es Mieterhöhungen oder Stromnachzahlungen, aber auch materielle Sachen wie Möbel oder Haushaltsgeräte, bei denen die Caritas unter die Arme greift. Davon profitiere kürzlich auch Müller. „Ich habe eine Waschmaschine und einen Kühlschrank geschenkt bekommen, denn beides ging kaputt und ich hätte mir keine neuen Geräte kaufen können.“
Laut Steur werde sich das Problem der Altersarmut weiterhin verstärken. „Es gibt viele versteckte arme Rentner, die sich nicht trauen, sich zu outen und zu stolz sind, Hilfe anzunehmen“, weiß er. Dem stimmt Volker Schmidt, Vorsitzender des VdK-Ortsverbands Leutkirch, zu. „Solche Sachen werden nur selten an die Öffentlichkeit getragen. Aber da die Renten immer geringer werden, nimmt auch die Altersarmut zu.“ Das zeige die steigende Nachfrage an Tafelladenzulassungen.
50 Prozent Ermäßigung
Mit diesem Ausweis können Bedürftige in mehreren Leutkircher Einrichtungen günstiger einkaufen. Auch im Secondhand-Laden Magita. „50 Prozent Ermäßigung gibt es mit dem Tafelausweis auf die Preise“, sagt Gisela Tappe. Viele ältere Leute Leuten kommen zu ihr, und erzählen von ihren Problemen. „Mit den Jahren sind es immer mehr geworden“, sagt sie.
Auch Marianne Müller schaut gerne vorbei. „Denn hier bekommen ich günstige Sachen“, sagt die 70-Jährige. Sie vergleicht: „Andere kaufen eine Hose für 100 Euro, ich habe 100 Euro im Monat für Essen übrig.“ Müller zeigt auf eine Nudelpackung. „Das ist mein Abendessen, 69 Cent hat es gekostet.“ Sie müsse immer auf die Preise schauen, vergleiche ständig Prospekte und Angebote. „Man muss ein Rechenkünstler sein.“ Besonders an Weihnachten sei das schwer. „Da muss ich sparen, damit es etwas anderes gibt als Nudeln.“
Um sich kleine Wünsche wie einen Kurzurlaub oder einen Frisörbesuch zu erfüllen, sucht Müller bereits seit einiger Zeit nach einem Job – bislang ohne Erfolg. Was ihr bleibt, ist ihr kleiner Hund. „Den möchte ich nicht weggeben, sonst habe ich gar keine Freude mehr“, sagt sie. „Lieber hungere ich.“ Die Tierarztkosten könne sie oftmals in Raten bezahlen.
Und auch wenn es Müller oftmals schlecht geht, denkt sie an ihre Mitmenschen. „Zur Caritas gehe ich nur, wen mir das Wasser bis zum Halse steht, denn ich denke, andere Menschen haben die Hilfe vielleicht noch nötiger als ich.“ Außerdem treibe sie die Hoffnung auf ein besseres Leben an. „Ich muss weitermachen, egal wie.“