Leutkirch / br - Auswanderer, singende Zwillinge und eine Frau, vor der Bernd Dassel mit Hochachtung den Hut ziehen wollte, so er denn einen gehabt hätte. Bewegend, erheiternd und unterhaltsam ist der 156. Talk im Bock mit „Leutkircher Köpfen“ am Montagabend gewesen, der wegen des Regens in die Festhalle verlegt worden war. Wie seit 13 Jahren spielten „Just Friends“.
Da ist sogar ein Dassel sprachlos, wenn sein Gast die Nase an der Seinigen reibt. Rainer Mack hat ihn mit der Begrüßung auf Maori-Art überrascht. Neun Monate eines Sabbatjahres verbrachte der 51-Jährige mit seiner Frau Simone und den drei Kindern in Neuseeland. „Das war von meinem Arbeitgeber sehr entgegenkommend“, ist er dankbar. Mit 15 Gepäckstücken sind Macks abgereist. Das Schlimmste sei das Umsteigen in Ulm gewesen, verriet der Familienvater. Nach insgesamt 24 Stunden reine Flugzeit fehlte bei der Ankunft Auckland kein Stück. Und bis auf ein Brotmesser – Simone Mack backte auch in Neuseeland selber Brot – hätten sie nichts Wesentliches vergessen.
Die Kinder sind in Neuseeland zur Schule gegangen. „Das ist doch langweilig, ich hätte mich in dem Alter gewehrt“, sagte Dassel, weil die 14- und 16-jährigen Söhne eine Jungenschule besuchten. Mack hat als neue Leidenschaft das Angeln entdeckt. „Die neuseeländischen Fische wehren sich, die deutschen nicht“, ist ihm aufgefallen. Als Tipp für Neuseelandreisende nennt er das ursprünglich gebliebene East Cape und die Vulkane mitten auf der Nordinsel. „Richtig“ auswandern, so wie schon etliche Leutkircher und Isnyer, die sie dort getroffen haben, wollen Macks aber nicht.
Andere wollen das auch nicht, die Verzweiflung treibt sie jedoch aus ihrer Heimat. Wenn sie Glück haben, begegnen sie dann Priska Wunden, die den Arbeitskreis Asyl in Leutkirch leitet. 300 bis 400 Menschen hat sie seit Beginn der 1980er-Jahre betreut, schätzt sie. Im Saal herrscht betroffene Stille, als sie von den Menschen und ihren Schicksalen erzählt. Davon, dass sie gern arbeiten würden, dies aber nicht dürfen, dass sie die Sprache lernen möchten, die Kurse aber gestrichen sind. Und dass es oft schwer ist, Dolmetscher zu finden. Sogar eine Memminger Klinik habe einer jungen Frau den dringend notwendigen Kaiserschnitt verwehrt, „es war eine Tortur für sie“.
Derzeit sind 32 Gestrandete in der Sudetenstraße untergebracht. Im Oktober kommen 48 hinzu, die in zwei zwei zusätzlichen Containern hausen werden. „Die Enge bereitet Probleme“, sagt Priska Wunden. „Muslimisch ist nicht gleich muslimisch“, nennt sie einen, für die deutschen Helfer unerwarteten, Zündstoff. Über die beiden Romafamilien, die derzeit da sind, sagt sie, „sie sind die Letzten in ihren Ländern“. Für die sei eine warme Stube schon Glück. Unter den Flüchtlingen aus Syrien oder Afghanistan sind auch Akademiker – ebenso zum Nichtstun verdammt. Sie haben vieles zurückgelassen, traumatisiert sind sie alle. „Die können nicht mehr lachen“, erzählt Wunden von einer Familie, die mit vierwöchigem Baby in einem Motorboot mit Motorschaden vierzehn Tage auf dem Mittelmeer verbrachte.
Wunden bewegte das Publikum, bewegen möchten auch die Soul Sisters, Ruth und Judith Angele aus Starkenhofen. Ihr Künstlername hat deshalb weniger mit Soul-Musik zu tun, als mit dem Wunsch, die Seele der Zuhörer zu berühren. Dassel hat bei den Zwillingen einen unterschiedlichen Händedruck ausgemacht, dass die eine Pony trägt, die andere nicht, fiel ihm aber nicht auf. Ruth sei fürs Organisatorische zuständig und Judith fürs Timing, nannten die beiden, was sie unterscheide. Dass Ruth lieber redet, war zu merken. Lieder schreiben sie gemeinsam, die Texte fallen ihnen oft bei einem Waldspaziergang ein, verrieten die Sängerinnen, die eine Profikarriere „im Hinterkopf“ haben.
„Ich hab hier nichts mehr zu suchen, ab morgen bin ich Altmoderator“, sagte Bernd Dassel, der nur unter großen Mühen auf die Bühne gekommen war, abschließend. Das Publikum klatschte ihm stehend minutenlang Beifall zum Abschied.
Von den 280 Zuhörern im Saal wurden bei den fünften „Leutkircher Köpfen“ 1600 Euro für den Arbeitskreis Asyl gespendet. Damit soll Asylbewerber-Kindern im Schulalter die Nachmittagsbetreuung in der Schule ermöglicht werden. Bisher sind beim Talk im Bock 514180 Euro zusammengekommen.