Quantcast
Channel: Schwäbische: Feeds: Trossingen
Viewing all articles
Browse latest Browse all 8808

Und plötzlich war alles anders

$
0
0

Leutkirch / sce - Viele Leukämiepatienten haben nur eine einzige Überlebenschance: die Übertragung von Knochenmark. Um diese Chance zu erhöhen und möglichst viele geeignete Spender mit passenden Gewebemerkmalen zu finden, ist am 21. September eine Registrierungsaktion in der Leutkircher Festhalle geplant. Organisiert wird sie von der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) und einem großen Team rund um Julia und Lars Kneipp. Sie sind die Eltern des siebenjährigen Laurin, der, wie berichtet, an einer besonders aggressiven Form der Leukämie erkrankt ist. Im Gespräch mit der SZ schildern sie ihren Weg.

Die Krankheit kam aus heiterem Himmel, ohne jede Vorwarnung. Kein Nasenbluten, keine blauen Flecken. „Laurin kam vom Fußballtraining und klagte über starke Schmerzen in den Armen und Beinen“, erinnert sich Julia Kneipp an jenen Freitag im März, mit dem alles begann. Ein Infekt, vermuten die Eltern, zumal bald auch hohes Fieber einsetzt. Am Montag nimmt der Kinderarzt Blut ab und stellt einen auffälligen Wert fest: 38000 Leukozyten. Normal sind 4500 bis 13500, erfahren Julia und Lars Kneipp. Am Dienstag bringt die Kontrolluntersuchung ein noch dramatischeres Ergebnis: 78000 Leukozyten. Explosionsartig haben sich die weißen Blutkörperchen im Blut des Siebenjährigen vermehrt, es muss umgehend gehandelt werden.

Der Leutkircher Arzt überweist Laurin nach Ulm, an die Uniklinik, wo noch am selben Tag ein weiteres Blutbild mit 100000 Leukozyten die schreckliche Gewissheit bringt: Blutkrebs. Noch dazu in einer besonders aggressiven Form: „Akute lymphatische Leukämie“. 86 Prozent Krebszellen machen Laurins Blut zur lebensbedrohenden Flüssigkeit. „Unbehandelt verläuft die Krankheit ganz schnell tödlich“, müssen die Eltern hören.

Entsetzen, Ungläubigkeit, Schockstarre – so beschreibt Lars Kneipp seine erste Reaktion auf die Diagnose. Die Gespräche mit den Ärzten auf der Kinderkrebsstation helfen, aber sie machen der Familie auch klar, was ihr bevorsteht: „Ein sehr langer Weg mit Höhen und Tiefen“, beschreibt ein Arzt die kommenden Monate. Das Leben der ganzen Familie wird auf den Kopf gestellt. Immerhin: Die Heilungschancen seien gut, machen die Mediziner Hoffnung – vorausgesetzt, die Behandlung mit Kortison und die folgende Chemotherapie schlagen an.

Laurin muss sofort auf der onkologischen Kinderstation bleiben. Aus einem lebhaften, fröhlichen Jungen wird ein todkranker Patient, der ein standardisiertes Behandlungsprogramm zu durchlaufen hat und schon bald von der Standard- in die Hochrisikokategorie eingestuft wird. Knochenmarkspunktionen, unzählige Bluttransfusionen, hoch dosierte Chemo mit all ihren gefürchteten Begleiterscheinungen, die Aussicht auf zwei Jahre Therapie mit vielen stationären Aufenthalten: „Es hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt Julia Kneipp. „Von einem Tag auf den anderen war nichts mehr wie zuvor.“

Immer bleibt ein Elternteil bei Laurin in der Klinik, um sich um ihn zu kümmern, „die Abläufe verlangen das.“ Zuhause versorgen derweil die Großeltern den neun Monate alten Bruder. „Ohne unser großes Netzwerk aus Familie, Freunden und Bekannten würden wir das alles nicht schaffen“, sind sich Lars und Julia Kneipp sicher. „Das trägt uns.“ Dankbar sind sie auch für die mannigfaltige Unterstützung in Ulm, die nicht zuletzt mit Hilfe des Leutkircher Förderkreises für tumor- und leukämiekranke Kinder den Eltern Rückzugsräume und ein Stück Geborgenheit bietet.

Ein halbes Jahr ist Laurin mittlerweile in Ulm, hat Berg- und Talfahrten durchgemacht und Wesensveränderungen von Aggression bis Depression. „Aber meistens war er sehr tapfer“, sagen seine Eltern voll Bewunderung. Hin und wieder darf er für ein paar Tage nach Leutkirch – aber aufgrund der Ansteckungsgefahr durch die Tierarztpraxis im Haus nicht zu seiner Familie, sondern zu den Großeltern. Im Moment hält die Chemotherapie die bösartigen Zellen in Schach, „aber es besteht immer das Risiko, dass sie abgebrochen werden muss, weil der Erfolg ausbleibt“, sagt Julia Kneipp.

Dann hat Laurin nur noch eine Chance: die Knochenmarkstransplantation. Um ihrem Sohn und vielen anderen Leukämiepatienten diese Chance zu geben und um möglichst viele potenzielle Spender in die weltweiten Dateien aufnehmen zu können, planen Julia und Lars Kneipp eine große Aktion in der Leutkircher Festhalle: Wie in der SZ bereits berichtet, laden sie zusammen mit der DKMS und rund 100 ehrenamtlichen Helfern am Sonntag, 21. September, dazu ein, sich als Stammzellspender registrieren und dafür fünf Milliliter Blut abnehmen zu lassen. Dies sei allen gesunden Menschen zwischen 17 und 55 Jahren möglich, heißt es bei der DKMS.

Wer sich nicht registrieren lassen kann oder will, kann aber auch durch einen finanziellen Beitrag helfen: Jede einzelne Typisierung, also die Untersuchung der Blutproben auf Gewebemerkmale, kostet 50 Euro. 50 Euro, die ein Leben retten können – in Leutkirch, in Ulm oder irgendwo auf der Welt. Laurin Kneipp weiß von der Aktion in seiner Heimatstadt, seine Eltern haben mit ihm darüber gesprochen. Und er freut sich, dass sein Verein, der FC Leutkirch, dabei besonders aktiv sein wird. Seine Fußballbegeisterung nämlich hat er auch auf der Kinderkrebsstation nicht verloren. Tausende von Panini-Bildchen haben sich während der WM in seinem Zimmer angesammelt, berichten seine Eltern. Und ganz besonders gefreut hat er sich über Post, die kürzlich eingetroffen ist: Manuel Neuer, Welttorhüter und WM-Held in Brasilien, hat ihm eine Genesungskarte geschrieben. Was kann einem Nachwuchsfußballer Besseres passieren – selbst wenn er so krank ist wie Laurin.

Weitere Informationen zur Knochenmarkspende gibt es unter www.dkms.de. Spenden für Laurin und andere Blutkrebspatienten können auf das DKMS-Spendenkonto bei der Raiffeisenbank Ravensburg überwiesen werden: IBAN DE03650625770085326003


Viewing all articles
Browse latest Browse all 8808