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Die Muse ist die Erinnerung

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Leutkirch / sz - Der Buchautor Arnold Stadler ist ein gelassener Leser. Aber kein Vorleser, wie er in seiner Autorenlesung in der Stadtbibliothek betonte. Er schreibe allein für sich und er lese allein für sich. Seine neu erschienene Trilogie „Einmal auf der Welt. Und dann so“ vereint drei vorangegangene Romane – „Ich war einmal“ (1989), „Feuerland“ (1992) und „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“ (2004) – in überarbeiteter und erweiterter Form.

Warum Arnold Stadler, der seit Jahrzehnten weltweit die Literaturszene bevölkere, so Karl-Anton Maucher in seiner Begrüßung, gleich aus zwei Bänden desselben Titels lese, erklärt sich ganz einfach. In einem Band fehle eine Seite und deshalb brauche er beide Ausgaben. Vor 25Jahren hat der 1954 in Meßkirch geborene Autor mit dem Schreiben an der Trilogie angefangen. „Ich war einmal“ hieß der erste schmale Band, der in Salzburg beim Jung und Jung Verlag in einer Auflage von 2500Exemplaren erschien.

Wie ein Lottogewinn habe sich das angefühlt, erzählt er. Allerdings mit der Anmerkung, dass allein in Meßkirch 500 Exemplare verkauft wurden, wonach sein Blick auf die Badener Heimat lange Zeit als Abrechnung mit den dortigen Menschen verstanden wurde. Was dagegen einzuwenden sei, wenn ein Viehhändler Heidegger heiße. Im Grunde genommen nichts, nur dass der Philosoph Martin Heidegger ebenfalls aus Meßkirch stammt.

Erinnerung ist wie eine Blutkrankheit

Stadler, der zurzeit selten auf Lesungen anzutreffen ist (er schreibt an einer nächsten Trilogie), las aus dem ersten Teil, in dem sich sein junger Ich-Erzähler „Auf den Weg nach Schwackenreute“ begibt. Die Erinnerung ist wie eine Bluterkrankheit, eine Wunde, die sich nie schließe. „Ich blute, also bin ich“, steht schlussfolgernd am Beginn des „Schmerzensfreitags“ und der sonntäglichen Fahrt zum rotgesichtigen Mostonkel Fritz. Der prügelte mit dem Stecken auf die Kinder ein wie auf die Kühe und verfügte über so wenige Wörter, dass es schier unmöglich war, ihn zu verstehen.

Stadlers Erinnerungen tönen trotz aller realen Nüchternheit lyrisch. Sie treiben das Ringen um den Verlust der braunen Höhenfleckkuh zu Gunsten der Neuerwerbungen schwarzer Kühe aus Norddeutschland auf eine ironische Spitze. „Ich schreibe nicht zum Spaß und lese Bücher nicht zum Zeitvertreib. Beides ist aus einem Guss“, sagt er ebenso lakonisch wie überzeugend. Er versuche die Welt sprachlich zum Vorschein zu bringen und seine Muse sei dabei die Erinnerung. Mehrfach stellte er (lachend) während der Lesung klar, dass der Ich-Erzähler nicht autobiographisch sei. Er sei ein stellvertretendes Ich, auch wenn es mit der Herkunft von einem Bauernhof, mit Stationen in München, Rom und Freiburg offensichtlich Parallelen gibt.

Ein Requiem auf die Kindheit bis in die Zeit um 1900

Stadlers Trilogie sei ein Requiem auf die Kindheit bis in die Zeit um 1990 und somit auf die Zeit der untergegangenen Welt der selbständigen Bauernhöfe. Das sei es wert, dass man es aufschreibe. Einen Krimi habe der Georg-Büchner-Preisträger (1999) nie gelesen und auch in der „Glotze“ nie gesehen. Er hält dagegen mit der Frage des „Grabredners“ im dritten Teil der Trilogie, was dieser für ein Mensch sei, der im Supermarkt zwei Schnitzel kaufe, um zu vertuschen, dass er allein sei.

Zu Hause angekommen, beide aufesse, um es auch vor sich selbst zu vertuschen. Zum Glück hat der Autor, der 2014 den Bodensee-Literatur-Preis der Stadt Überlingen erhielt, heute im Wendland und Berlin lebt, den elterlichen Bauernhof in Rast bei Meßkirch nie aufgegeben. So war der Weg nach Leutkirch überschaubar, denn Arnold Stadler zu erleben, ist ergiebiger als jeder Krimi.

Arnold Stadler, „Einmal auf der Welt. Und dann so“. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main, 2014. 432 Seiten. 19,95 Euro.


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