Leutkirch / sz - Der heute 95-jährige Leutkircher Alois Krug ist 1940 zur Wehrmacht eingezogen worden. Er kam als Rekrut in die Kaserne (Kloster) Wiblingen. Danach wurde sein Artillerie-Regiment in die Nähe von Prag verlegt. Nach kurzem Einsatz in Jugoslawien begann für ihn einen Tag nach seinem 21.Geburtstag der Russlandfeldzug.
Über Lemberg (heute Lwiw/Ukraine) kam er mit seiner Division bis zum Kaukasus und entging damit dem harten Schicksal der Nachbardivision, die nach Stalingrad marschieren musste. Auf dem Rückmarsch hat er eine Verwundung überstanden und wurde für "Tapferkeit vor dem Feind ausgezeichnet". Im April 1945 – schon im Gebiet der Slowakei – bekam er dafür 14 Tage Heimaturlaub.
Nach dessen Ende musste er in Leutkirch am Wochenanfang – es waren die letzten Tage vor dem Einmarsch der Franzosen am Samstag – bei der Meldestelle der Wehrmacht in der Bachstraße antreten und wurde der Sammelstelle im "Rössle" (evangelische Kirchgasse, vor 40Jahren abgerissen) zugewiesen.
Eine Einheit von etwa 50 Soldaten
Eine Einheit von etwa 50 Soldaten zog von dort vor die Stadt und hielt sich zunächst im Gebiet östlich der Wangener Straße auf. Alois Krug als Leutkircher wurde zur Beschaffung von Essbarem in die Stadt zurückgeschickt. Im kleinen Käsegeschäft gegenüber der Dreifaltigkeitskirche konnte er einen ganzen Laib Käse bekommen. Die dort wartende Schlange war durch Fliegeralarm vertrieben worden und, da man schon fast stündlich mit der Ankunft der Franzosen rechnete, nahm man es im Geschäft nicht mehr so genau mit den Bezugsmarken.
Gegenüber an der Kirche stand ein kleiner Handwagen, allerdings ohne Deichsel, was Alois Krug nicht hinderte, mit diesem Fahrzeug die erfreulich groß ausgefallene Käseration zu den hungernden Kameraden zu bringen. Nach diesem Erfolg wurde Krug auch am folgenden Tag – die Nacht durfte er mit Sonderurlaub im eigenen Bett zu Hause verbringen – wieder in die Stadt geschickt, mit seinem am Vortag "erworbenen" Transportmittel. Diesmal hatte er Glück bei dem Konservenlager in der damaligen Ober- und Gewerbeschule (am heutigen Adenauerplatz).
Die für die Verwaltung des Lagers zuständige Hausmeistersfrau war sich mit vielen "abnahmebereiten" Leutkirchern einig darüber, dass eine – wenn auch nicht ganz vorschriftsmäßige – schnelle Räumung besser sei als alles den Franzosen zu überlassen. So konnte Soldat Krug wieder eine stattliche Ladung mitbringen, diesmal vorwiegend Obstkonserven.
Westwärts übers Arnacher Gebiet
Nach dem Aufenthalt vor Leutkirch erhielten die Soldaten die Weisung, dem Feind entgegenzuziehen, der seinerseits auf Ziegelbach zumarschierte. Also ging die Einheit westwärts übers Arnacher Gebiet, aufgeteilt in Gruppen. Soldat Krug konnte durch verwandtschaftliche Beziehungen auch hier bei Verpflegung und Nachtquartier (im Heu) helfen. Seiner ihm zugewiesenen Gruppe gab er die Anweisung, die Schusswaffe nicht einzusetzen, um den überlegenen Gegner nicht auf sich zu ziehen. Zu so einer vernünftigen Entscheidung war die SS in ihrem Wahn nicht fähig und verursachte mit ihrem Eingreifen das sinnlose und für Ziegelbach verheerende Gefecht, über dessen Ausgang es von vorneherein keinen Zweifel geben konnte. Alois Krug und seine Kameraden mussten zusehen, wie das Dorf in Brand und Rauchwolken verschwand.
Der kommandierende Offizier führte danach die Einheit von Alois Krug über Kißlegg und Dürren nach Ratzenried, wo er seinen Soldaten mitteilte, dass für sie der Krieg zu Ende sei, allerdings nicht durch eine gemeinsame Kapitulation gegenüber einem französischem Kommando. Die Einheit solle sich auflösen und jeder selbst sehen, wie er sich durchschlagen kann.
Alois Krug machte sich auf den Weg nach Leutkirch, zunächst in Richtung Isny. Beide Städte wurden inzwischen von französischen Soldaten kontrolliert, vorwiegend Marokkaner.
So war es nicht einfach, bei einem Bauern vor Isny Unterschlupf im Heu zu finden.
Gewehr ins Wasser geworfen
Alois Krug gelang es, sich über Urlau und den oberen Stadtwald nach Leutkirch durchzuschlagen. Am Stadtweiherbach wurde dann das Gewehr ins Wasser geworfen, bevor es über die Wilhelmshöhe zum heimatlichen Krug-Hof ging, wo sich der ehemalige Soldat – noch ohne ordnungsgemäße Entlassung – verborgenhielt. Vom kleinen Ausguck konnte er die dunkelhäutigen französischen Soldaten beobachten, die sich im nahen Schulgebäude einquartiert hatten.
Um sich dem "illegalen" Status etwas zu entziehen, wurde ein Bekannter aus der ehemaligen Katholischen Jugend gebeten, mit seinen schriftsetzerischen Fähigkeiten einen Entlassungsschein anzufertigen, mit der unleserlichen Unterschrift eines Majors.
Eine der ersten Arbeiten auf dem elterlichen Hof ist Alois Krug besonders in Erinnerung geblieben. Die französischen Besatzungssoldaten feierten auf der Wilhelmshöhe ein großes Fest. Dazu war eine größere Anzahl von Schafen – neben Hühnern für die Marokkaner wichtige Fleischlieferanten – zusammengebracht worden, die im Krughof geschlachtet und dann für das Fest auf dem Berg gebraten wurden.
Sohn Alois war der Fuhrmann
Nach der Feier mussten die offensichtlich zahlreich hinterlassenen Spuren auf der Höhe beseitigt werden. Der nahe Krughof musste dafür einen Wagen mit Gespann stellen und Sohn Alois war der Fuhrmann. Noch heute ist bei ihm das Staunen über die Menge der Knochen und anderen Hinterlassenschaften anzumerken, aber auch Erinnerung, wie er damals die ehemaligen Nazigrößen Leutkirchs – inzwischen Insassen des Leutkircher Gefängnisses – bei dieser nicht sehr angenehmen Aufräumarbeit beobachten konnte.
Seinem selbstgefertigten Entlassungsschein traute Alois Krug aber doch nicht rech. Um nicht in französische Gefangenschaft zu geraten, fuhr er mit dem Fahrrad über die Zonengrenze nach Bayern und stellte sich dort in einem Lager den Amerikanern. Von dort wurde er mit anderen Württembergern von den Amerikanern zum französischen Lager in Tuttlingen gebracht, wo die US-Vertreter aber so lange blieben, bis die Überstellten ihre französischen Entlassungspapiere erhielten und nach Hause gehen konnten.
Als Alois Krug mit Zug und Fahrrad wieder in Leutkirch angekommen war, war für ihn Krieg und Soldatenzeit – wie er auch selbst dankbar empfindet – glücklich zu Ende gegangen, auch im Gedanken daran, dass Millionen Kameraden sinnlos geopfert wurden.