Leutkirch / sce - 8. Mai 1945: Deutschland erklärt die bedingungslose Kapitulation, der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Ein historisches Datum, an das sich die Welt auch heuer wieder erinnert. 70 Jahre sind seitdem vergangen, doch die Ereignisse jener Tage und Wochen sind vielen Zeitzeugen bis heute unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt. Das beweisen die Berichte unserer Leser, die sich auf einen entsprechenden Aufruf der Schwäbischen Zeitung gemeldet haben. Wir haben mit ihnen gesprochen und geben ihre Erinnerungen in einer kleinen Serie wieder.
"Ich weiß von der Zeit noch, als ob’s vor einem Jahr gewesen wäre." Maria Geser, geborene Groß, war 14Jahre alt, als die Franzosen in Muthmannshofen einmarschierten. Es war der 29. April 1945, ein Sonntag, gegen 19 Uhr. Die Bauern waren gerade mit der Stallarbeit fertig, da zogen sie ein, "sehr viele Franzosen mit sehr, sehr, sehr vielen Fahrzeugen". Die Landwirtsfamilie Groß führte neben dem Milchviehbetrieb das Gasthaus zum Hasen, und es dauerte kaum eine Stunde, bis die Franzosen ihre Kommandantur in der Wirtschaft eingerichtet, ein Telefon installiert und die Schlafräume im Obergeschoss belegt hatten. "Meine Mutter und meine Tante haben in der Gaststätte auf einem Sofa geschlafen, die Männer im Stall. Mein Bruder und ich schliefen bei Nachbarn, tagsüber waren wir zuhause", schildert Maria Geser ihre Erinnerungen an den Beginn der Besatzung.
Als Geiseln im Keller des Rathauses gefangen
Besonders dramatisch war die erste Nacht: Zehn Männer aus Muthmannshofen, darunter der Vater von Maria Geser, wurden von Sonntag auf Montag als Geiseln im Keller des Rathauses gefangen gehalten. "Wäre in dieser Nacht ein Schuss gefallen, dann hätte man die zehn Männer erschossen", sagt die heute 84-Jährige. "Gott sei Dank, es ist kein Schuss gefallen, so atmete das Dorf am nächsten Tag wieder auf." Angespannt blieb die Lage trotz alledem: "Wir wurden ständig überwacht", sagt Maria Geser, die seit Jahrzehnten in Niederhofen lebt. Sie weiß auch noch, dass in den Tagen vor Kriegsende viele deutsche Soldaten durchs Dorf zogen, um sich dann im Kreuzthal zu verstecken. "Die Franzosen sind mit Jeeps herumgefahren und haben in den Wäldern nach deutschen Soldaten gesucht. Sie haben sie dann bei uns in der Gaststätte gesammelt. Wenn wieder ein LKW voll war, sind sie mit ihnen nach Frankreich gefahren."
Zehn bis 14 Tage war die erste Besatzung in Muthmannshofen, berichtet die Zeitzeugin. Nach einer Nacht ohne Besatzung sei dann eine zweite, kleinere französische Soldatengruppe gekommen – etwa 150 Mann, ausgestattet mit Jeeps, LKW und Pferden. Diese blieben dann etwa ein bis zwei Wochen im Dorf. Damit waren Krieg und Besatzung vorbei, das Allgäu war relativ glimpflich davongekommen. Für Angst und Schrecken hatten vor allem in den letzten Kriegstagen noch die vielen feindlichen Tiefflieger gesorgt. "Die haben die Muna gesucht", erklärt Maria Geser. Die Bevölkerung sei vorsorglich aufgefordert worden, nahe Tobel aufzusuchen, zum Schutz vor Explosionen.
"Erst kurz vor Mitternacht sind wir wieder heim." Mit Blick auf das Munitionsdepot in Urlau fügt sie hinzu: "Wir haben gar nicht gewusst, dass das so gefährlich ist."
Dreimal zu Fuß von Kempten nach Muthmannshofen
Was Maria Geser noch immer beschäftigt: Zwei Polen waren als Zwangsarbeiter auf dem Hof beschäftigt, Leon und Stanislawa. Sie gehörten praktisch zur Familie, doch im Sommer 1945 mussten sie in ein Lager nach Kempten. "Dreimal ist der Pole zu Fuß von Kempten nach Muthmannshofen gelaufen, um uns beim Heuen zu helfen", erinnert sie sich und kämpft mit den Tränen. "Abends lief er dann wieder zurück nach Kempten." Dass es später keinen Kontakt mehr gegeben hat, bedauert sie bis auf den heutigen Tag.