Leutkirch / sz - Was ist Normalität? Der auf einem karierten Zettel hingeschriebene Hinweis auf eine Führung durch die Stadt oder die Einteilung von Sprechzeiten bei örtlichen Ärzten? Normal für Leutkirch ist, dass seit Dienstag auch die Sporthalle der Geschwister-Scholl-Schule als Notunterkunft für Flüchtlinge benützt wird.
101 Schutzsuchende waren es am Dienstag. Weitere 65 folgten am Mittwoch. Es ist damit zu rechnen, dass bis zum Wochenende die Notunterkunft voll sein wird. So ist es geplant, so ist es sowohl der Stadt Leutkirch als auch der Führung der Schule mitgeteilt worden. Wenn, dann sollen 200 Flüchtlinge in der Halle Platz finden, und das nach den bisher kursierenden Vorgaben der Ravensburger Kreisverwaltung bis zum Juni 2016, bis zum Ende des Schuljahres.
Sozialräume wurden erweitert. Über dem Bereich des früheren Sieben-Meter-Raums für Handballer befinden sich kleine Wohneinheiten. Das alles sind Zahlen. Zahlen, die der Bund, das Land oder der Landkreis dem DRK-Kreisverband, der in der Sporthalle das Sagen hat, übermittelt haben. Jörg Kuon, der Geschäftsführer des DRK-Kreisverbands, gibt am Mittwoch zu, dass diese Mitteilungen nur ein Anhaltspunkt sein können. "Improvisation ist alles", sagt er, und er wirkt dabei, als ob er auf diese Zusatzherausforderung in schwierigen Zeiten gerne verzichtet hätte.
So kamen schon am Dienstag, angekündigt waren Flüchtlinge vornehmlich aus Syrien und dem Irak, auch Menschen aus Albanien an. Jörg Kuon, als DRK-Mann stark auch den Idealen seiner Organisation verbunden, kennt deren Nöte, deren Zwänge, deren Wünsche nach einer besseren Zukunftsperspektive. Aber: "Wir haben uns schon gewundert, dass uns auch Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern zugewiesen worden sind", sagt er.
Mehr geärgert hat er sich darüber, dass die Leutkircher Neuankömmlinge mit aus seiner Sicht partiell falschen Vorstellungen Leutkirch als nächste Station ihrer Flucht erreicht haben. Das führt er auch auf Versäumnisse auf der deutschen Seite zurück. Flüchtlinge seien mit der Erwartung angekommen, in Leutkirch eine Wohnung beziehen zu können. Die Fehlinformation wurde aber nicht etwa im Orient gegeben, sondern in Meßstetten .
Eine neue Herausforderung
Mehr zu tun hatten die haupt- und ehrenamtlichen Kräfte des DRK mit den Unwägbarkeiten so einer in diesem Ausmaß auch für sie neuen Herausforderung. Arztsprechstunden mussten organisiert werden, ohne den Ablauf in den Leutkircher Praxen zu sehr zu irritieren. Es ging um Dinge wie Durchfall, Erbrechen. Gar nicht so sehr Notfälle stehen aber bei den Erkrankungen im Mittelpunkt. In einem Staat wie Deutschland, der von seiner Grundstruktur her sehr viel sehr genau regeln will, kommt einer gerechten Lastenverteilung zwischen Kassen und Verbänden besonderes Gewicht zu.
Feinabstimmung gab es auch mit dem Stephanuswerk in Isny, das für die Verpflegung der Flüchtlinge, verantwortlich ist. Rindergulasch mit der Beilage Bulgur, als Alternative eine Gemüsepfanne mit Kichererbsen, wurden am Mittwoch zur Mittagszeit ausgegeben. Im Verlauf des Tages wollten Kuon und sein Stab auch mit Sprecherräten der wichtigsten Volks- und Religionsgruppen Details erörtern, um das Zusammenleben auf so engem Raum zu erleichtern. Alte. Säuglinge. Schwangere. Alle unter einem Dach. "Einfach wird das alles nicht", sagt Jörg Kuon. Dann vibriert sein Smartphone. Die nächsten Flüchtlinge warten.