Leutkirch / sz - Phia und Fionnán haben es gut erwischt: Sie leben gesund und in Frieden auf der Allgäufinca vor den Toren Leutkirchs, können täglich zur Schule gehen, sich mit ihren Freunden treffen, besitzen eigene Ponys und verschiedene andere Tiere und fühlen sich sicher und geborgen.
Die Berichte über die vielen Kinder, die nicht so viel Glück haben, die ihre Heimat verlassen und alles Vertraute zurücklassen mussten, bewegen die beiden sehr. Sie möchten auch einen Beitrag dazu leisten, dass diese Kinder sich an ihrem neuen Aufenthaltsort wohler fühlen.
"Wir wollten nicht nur das hinbringen, was wir selber nicht mehr brauchen. Wir wollten teilen, so richtig persönlich", erinnert sich die 13-jährige Phia. Sankt Martin brachte schließlich die Idee – er teilt den Mantel, also teilen die Kinder ihre Ponys. "Geteilte Freude ist vielfache Freude", weiß der achtjährige Fionnán.
Als die beiden mit dem Vorschlag zu ihren Eltern gingen, waren diese begeistert. Reinhold Mayer fand es wichtig, dass man auf Tuchfühlung geht. "Zum einen entdeckt man so, wie viele Gemeinsamkeiten einen verbinden, auch wenn man aus ganz verschiedenen Kulturen kommt. Zum anderen erkennen die Kinder einmal mehr, dass all das, was das Leben ihnen geschenkt hat, nicht selbstverständlich ist."
Bei ihren Freunden stießen Phia und Fionnán ebenfalls auf offene Ohren und Herzen, so dass das Ganze schon bald Gestalt annahm.
Der erste Einsatz bleibt den Beteiligten sicherlich lange in Erinnerung. In Absprache mit den Verantwortlichen vor Ort ritten die Jugendlichen, begleitet von Stefanie Lowry, zur Notunterkunft. Binnen weniger Momente waren Pferde und Reiter umringt von zahlreichen begeisterten Kindern und Erwachsenen. "Am Anfang war die Situation schon krass", beschreibt eine jugendliche Helferin, "wir saßen noch auf den Ponys, da waren schon überall Hände und Kindergesichter und jeder hat sich vorgedrängt. Wir haben dann einfach so lange geführt, bis ganz sicher jedes Kind mehrmals dran war."
Was für manchen Reiter ein Horrorszenario darstellt, machte den eingesetzten Ponys erst richtig Spaß: Fionnáns kleines Shetlandpony Lemmy genoss den Trubel sichtlich und schmuste bereitwillig mit allen Flüchtlingskindern. Auch die ängstlicheren Kleinen verloren auf diese Weise bald ihre Scheu und wurden zu stolzen Reitern.
Inzwischen sind die Pferde ein gewohntes Bild an der Notunterkunft, die Kinder kennen die Tiere mit Namen, haben bereits einiges über den Umgang mit ihnen gelernt und begrüßen ihre Lieblingspferde schon von weitem.
Etwas von der Seele geheult
Reinhold Mayer, der als Ayurveda-Therapeut auch Pferde einsetzt, betrachtet die Ponynachmittage aus therapeutischer Sicht: "Man muss kein Psychologe sein, um zu fühlen, dass viele der Kinder Schlimmes erlebt haben. Die Pferde helfen ihnen, wieder freier und offener zu werden."
Er erinnert sich besonders an eine Situation: "Ein Mädchen stand lange abseits und beobachtete die Pferde sehnsüchtig. Als wir die Kleine dann auf ein großes Pferd hoben, verkrampfte sie sich immens. Plötzlich fing sie an zu weinen, sie hat sich so richtig etwas von der Seele geheult. Danach saß sie freudestrahlend und erleichtert auf dem Pferd und konnte das Reiten so richtig genießen." Martina Schöneberg, die die jugendlichen Helfer ebenfalls betreut, berichtet fasziniert von den vielen kleinen Szenen, die sich durch die Anwesenheit der Tiere ergeben: "Ein Junge lag die ganze Zeit auf dem Pferd. Er hat den alten Wallach so voller Liebe umarmt, dass mir regelrecht das Herz aufging."
Die Verständigung klappe erstaunlich gut – man versuche sich in Englisch und Deutsch, "und wir haben ja auch noch Hände und Füße", sagt Helferin Joana lachend, "außerdem habe ich schon mein erstes Wort in der Sprache der Flüchtlinge gelernt. Drrrga heißt schneller".
Die Resonanz auf den freiwilligen Einsatz der Jugendlichen sei fast durchweg positiv. Ein Mädchen wurde gefragt, weshalb sie fast jede Woche ihre Zeit opfere um mit ihrem Pflegepferd zu den Flüchtlingskindern zu gehen, ob sie nichts Besseres zu tun habe. Die Antwort kam prompt: "Wenn du siehst, dass es jemandem schlechter geht als dir, gibt es dann etwas Besseres, als das zu teilen, was du von Herzen liebst?"