Leutkirch / sz - Vor 70 Jahren ist der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen – Anlass nicht nur für weltweites Gedenken, sondern auch für ganz private Erinnerungen. Etwa die an Franz Büchele, geboren 1919 in Leutkirch, Sattler von Beruf. Fünfeinhalb Jahre dauerte sein Kriegseinsatz als Gebirgsjäger quer durch Europa, seit Februar 1945 ist er in Polen vermisst. 25 Jahre alt war der Soldat damals, Familie und Freundin Renate warteten zuhause vergeblich auf seine Rückkehr. Berthold Büchele, der Neffe, hat sich auf Spurensuche gemacht und vor wenigen Tagen ein 200 Seiten starkes Buch herausgebracht. "Verloren – Schicksal eines Soldaten im 2. Weltkrieg" so der Titel, wird am Mittwoch, 15. April, um 20 Uhr beim Heimatpflege-Treff im Hotel Post vorgestellt. Die Schwäbische Zeitung beginnt mit diesem Bericht eine kleine Serie zum Thema Zeitzeugen: Wie erinnern sich Menschen in Leutkirch und Umgebung an das Kriegsende im April/Mai 1945?
"Also mir geht es gut, ich bin gesund und munter." Zuversicht spricht aus dem Brief vom 13. Februar 1945, den Franz Büchele an die Familie daheim in Leutkirch schreibt. Es sollte sein letzter sein – das allerletzte Lebenszeichen des 25-Jährigen, ehe sich seine Spur verliert. Bis heute, sagt Neffe Berthold Büchele, Heimatforscher aus Ratzenried, konnte kein Grab seines Onkels ausfindig gemacht werden. Trotz intensivster Nachforschungen der Familie: Franz Büchele bleibt vermisst, 1987 wird er für tot erklärt. Was geblieben ist aus seinem kurzen Leben, sind die Tagebücher und rund 200 Briefe, die der junge Soldat während der Kriegsjahre geschrieben und fast genauso viele, die er erhalten hat. Dazu hunderte von Fotos, anhand derer sich Kriegsalltag Bücheles rekonstruieren lässt.
Und genau das ist die Absicht des Buches: "Mir kam es darauf an zu zeigen, was ein einfacher Soldat Tag für Tag Unglaubliches erlebt hat", sagt Neffe Berthold Büchele, "welch furchtbaren körperlichen und seelischen Belastungen er ausgesetzt war." In Schützengräben etwa, bei 20 Grad Kälte, oder bei Fußmärschen von mehr als 80 Kilometern am Tag, 21 Stunden, mit schwerem Gepäck, bei teils brütender Hitze. "Mein Onkel ist etwa 8000 Kilometer gelaufen", hat Büchele zusammengerechnet. Durch ganz Europa, von Frankreich nach Russland, die Ukraine, Serbien, Mazedonien, Montenegro, Griechenland, Ungarn, Polen, "dem Kriegsgeschehen gnadenlos ausgesetzt". Und immer in der Hoffnung, bald in die Heimat zurückzukehren.
"Wir schliefen in Treggnin im Schulhaus auf einem Strohlager"
"Am 14. 4. 41 wurden wir schon um 3 h geweckt", heißt es in einem der Briefe aus dem Jugoslawien-Feldzug. "Abmarsch war um 4 h. Um 10 h legten wir eine Rast ein, bevor wir um 11 h. 30 weiter marschierten bis 15 h und dann bis 16 h 30 rasteten. Wir waren alle sehr müde, mussten dann aber nochmals weiter marschieren bis nachts 1 h. (...). Die Tagesleistung war 83 Km! Wir schliefen in Treggnin im Schulhaus auf einem Strohlager."
Was Büchele aufgefallen ist: "Der Name Hitler kommt kein einziges Mal vor in all den Aufzeichnungen." Sein Onkel sei zwar in Leutkirch in der Jungschar gewesen, nicht aber in der Hitlerjugend. Was ihn getragen habe, sei vielmehr seine religiöse Überzeugung gewesen, wie sie auch in den Briefwechseln mit seinem Freund Georg Moser, dem späteren Diözesanbischof, deutlich werde. In einem Brief zum Jahreswechsel 1941/42 hatte der ihn noch ermutigt: "Bleib weiterhin tapfer und treu! Deinen Weg geh weiterhin gerade!.....Zum Neuen Jahre alles Gute an Leib und Seele, Gesundheit und Gottes weiteren Segen. (...). Zum Gebete reichen wir uns die Hand. Weiter in Treue! Von Herzen grüße ich Dich: Dein Schorsch. Berg Heil! A guats Nuis!"
Das Schicksal eines einfachen Soldaten am Beispiel seines Onkels aufzeichnen wollte Berthold Büchele zunächst einmal für seine Familie, die Kinder und Enkel, die die Schrift der alten Briefe und Tagebücher nicht mehr lesen können. Deshalb hat er alles transkribiert, hat im Internet geforscht und eineinhalb Jahre lang versucht, die Wege seines Onkels nachzuzeichnen. Dass es überhaupt dazu kam, war ein glücklicher Zufall: Im Jahr 2011, nachdem Bücheles Tante mit fast 100 Jahren gestorben war, wurde das Haus in der Isnyer Straße ausgeräumt. Und erst dabei fanden sich diese Dokumente einer verlorenen Jugend, eines verlorenen Krieges, eines verlorenen Lebens.
"Verloren" - das Buch von Berthold Büchele ist im Buchhandel und beim Autor, Telefon 07522/3902, zum Preis von 15.80 Euro erhältlich. Am Mittwoch, 15. April, 20 Uhr, wird es beim Heimatpflegetreff im Hotel Post vorgestellt.