Leutkirch / sz - Rebaz schläft in seinem Bett, einem alten geflochtenen Korb, der an der Decke des kleinen Raums in der Sudetenstraße hängt. Was um ihn herum passiert, bemerkt er nicht. Auch von den Strapazen, die seine Eltern in den vergangenen Monaten erleiden mussten, bekam er wahrscheinlich nicht viel mit.
Rebaz ist ein Flüchtlingskind, geboren auf der Flucht seiner kurdischen Eltern. Es war am 28. Juli, als Maher Abdullah und Media Haji von der nordsyrischen Stadt Hasaka zu Fuß in den Irak flüchteten – Schutz suchend vor Bomben, Terror und Krieg.
Maher Abdullahs Tante lebte dort. Im Irak angekommen, am 15.August, kam Rebaz zur Welt. In einem Krankenhaus, per Kaiserschnitt. Einen Tag verbrachte Media Haji im Krankenbett. 25 weitere Tage erholte sie sich bei der Tante von ihrem Mann. Danach, am 11. September, ging es weiter in die Türkei – mit dem PKW. Auch Rebaz war dabei. In einem kleinen, aufklappbaren Kinderbett, transportierte ihn sein Vater Maher an einem Riemen um den Hals. Lange Fußmärsche folgten, bis am 18. September das Boot in Richtung Griechenland ablegte. "4400 Euro haben wir dafür an Schlepper bezahlt", erzählt Media Haji. 120 Flüchtlinge saßen mit an Bord. Frauen, Männer, Kinder. "Rebaz war der jüngste Passagier", fährt Haji fort. Auch ihr Bruder und ihre Schwester fuhren mit. Sie flüchteten ebenfalls, leben nun bei Stuttgart.
Aufgewachsen sind Haji und Abdullah in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Wegen des Kriegs zogen sie mit ihren Familien nach Hasaka – eine arme Stadt im Norden Syriens, wo viele Kurden lebten. Haji und Abdullah trafen sich dort, verliebten sich und heirateten. Gemeinsam mit Abdullahs Familie wohnten sie in einem Haus. Abdullah war Elektriker, Haji studierte zwei Jahre lang technischer Ingenieur.
Weil Kurden in Syrien unterdrückt werden, durften sie dort weder kurdisch sprechen noch schreiben, nur arabisch. Das wollten sie ihrem Kind ersparen. Wollten ihm ein besseres, sicheres Leben bieten. Deshalb zogen sie los, mit dem Ziel: Deutschland. "Die Kurden mögen Deutschland", sagt Abdullah. "Nicht nur wegen des Fußballs", fährt er fort und lacht. Die Leute dort seien nett und hilfsbereit.
Märsche durch den kalten Wald
Ein Grund, weshalb das junge Paar die gefährliche Flucht auf sich nahm. Einmal mussten sie so weit laufen, dass Haji nicht mehr stillen konnte. Zum Glück hatte sie ein Fläschchen dabei. Auch Märsche durch den kalten Wald blieben nicht aus. Immer dabei in Gedanken waren die Eltern des jungen Paares. Sie wohnen noch in Hasaka. "Meine Mutter hat die ganze Zeit geweint", erinnert sich Haji.
Am 29. September ging es für sie und Abdullah mit dem Bus nach Mazedonien. Am 1. Oktober mit dem Zug nach Serbien und weiter mit dem Bus nach Kroatien. Am 4. Oktober fuhren sie schließlich mit dem Bus über Österreich nach Deutschland – in die Landeserstaufnahmestelle in Meßstetten. Vier Wochen verbrachten sie dort. Mit Kind und Geschwistern in einem kleinen Raum. "Es war gut dort. die Leute halfen uns sehr", sagt Abdullah. Am 3. November kam die junge Familie mit 98 weiteren Flüchtlingen in der Notunterkunft in Leutkirch an. "Unter dem Basketballkorb", wie Haji sagt, schliefen sie in einer Vier-Bett-Kabine in der Turnhalle der Geschwister-Scholl-Schule. Rebaz’ Bett war der Kindersafe.
Weil die Situation irgendwann unerträglich wurde, zogen sie nach drei Tagen und zwei Nächten in ein etwa zehn Quadratmeter großes Zimmer in der Sudetenstraße um. "Es ist klein, aber viel besser als in der Halle", wiederholt die 25-jährige Haji immer wieder. Neben ihrem Doppelbett stehen Kühlschrank, Tisch und Kleiderschrank. Ein Babybett hat keinen Platz. Ein Umstand, den Priska Wunden vom Arbeitskreis Asyl ändern wollte. Mit Erfolg. Ein Leutkircher Ehepaar stiftete schließlich den alten Korb, der nun an der Decke hängt. "Das Ehepaar studierte damals und hatte auch keinen Platz", sagt Wunden. Nun hofft die syrische Familie auf eine größere Unterkunft. "Vielleicht wird bald ein größeres Zimmer in der Sudetenstraße frei", sagt Wunden. Denn da bleiben möchten Abdullah und Haji auf jeden Fall. "Ich möchte Deutsch lernen, mein Studium beenden, hier wohnen und arbeiten", sagt sie. Ihr 29-jähriger Ehemann stimmt zu. "Ich möchte auch Deutsch lernen und mich in meinem Beruf als Elektriker weiterbilden."
Ein erster Schritt dafür wurde bereits in der vergangenen Woche gemacht. In der Landeserstaufnahmestelle in Meßstetten stellte die Familie ihren offiziellen Asylantrag – mit der Hoffnung auf ein besseres Leben.