Leutkirch / sz - Interessant, berührend, erfrischend: Mit Stefan Michaelis, Julia Kneipp und Kevin Prinz hatte Moderator Raimund Haser am Montagabend drei "Leutkircher Köpfe" zu Gast, die etwas zu erzählen hatten. Menschen mit Geschichten eben, wie sie beim Talk im oder vor dem Bock immer gefragt sind. Wenn dann noch die Atmosphäre eines lauen Sommerabends dazukommt, wenn Just Friends für den passenden musikalischen Rahmen sorgen und der Gänsbühl quasi zur Arena wird, dann dürfen sich die Besucher bestens unterhalten fühlen. Rund 350 waren es am Montag. Dass nicht alle einen Sitzplatz fanden und den Talk stehend mitverfolgten, spricht für das große Interesse an der Veranstaltung.
Es ist ja auch immer wieder überraschend, welche interessanten Köpfe es in Leutkirch gibt. Man muss sie nur finden. Bei Stefan Michaelis war das nicht ganz so schwer: Der Glasbläser aus Schmidsfelden, neuerdings auch Ortsvorsteher in der Leutkircher Teilgemeinde, ist den Besuchern des Glasmacherdorfs wohl bekannt. Weniger bekannt dagegen seine "Vorgeschichte": Michaelis, gebürtiger Rheinhesse, hatte in London studiert und im schottischen Edinburgh seinen Bachelor gemacht und ein Atelier für Glaskunst betrieben. Dann stand er vor der Frage: Weiter in der Großstadt leben, als Kitesurflehrer an der Ostseeküste arbeiten oder die Glashütte in Schmidsfelden übernehmen, von der ihm ein Freund erzählt hatte?
Am Flughafen London-Standstead, beim Zwischenstopp in Richtung Friedrichshafen, erzählt Michaelis, klingelte das Handy: "Du wirst Papa", habe ihm seine Frau mitgeteilt. Da fielen die Würfel schnell zugunsten des Glasmacherdorfs, von dem Michaelis heute sagt: "Schmidsfelden ist der Nabel der Welt für mich."
Die Einzelstücke, die er dort herstellt, seien gefragt. "Viele Menschen sind bereit, mehr dafür zu zahlen", sagt der Glasbläser auf eine entsprechende Frage Raimund Hasers. Wie er überhaupt festgestellt hat: "Die Schwaben sind gar nicht so sparig." Und wie arbeitet es sich bei der augenblicklichen Hitze in der Glashütte, mit einem Schmelzofen, der es auf 1200 Grad Innentemperatur bringt? Für Stefan Michaelis kein Problem: "Das Hüttengebäude wird erst nachmittags warm." Allerdings, fügt er hinzu: "Ein Glasofen ist wie ein kleines Kind – man kann ihn nicht alleine lassen." Alleine wird er ihn also nicht lassen, genauso wenig wie er Schmidsfelden oder Leutkirch verlassen wird: "Ich bleibe Euch erhalten", versichert er dem Moderator.
Berührend dann die Geschichte, die Julia Kneipp über ihren Sohn Laurin erzählt. Ein aufgeweckter, fröhlicher Siebenjähriger, der nach dem Fußballspielen plötzlich starke Schmerzen bekommt, vom Kinderarzt untersucht wird und dessen Blutwerte bald den schlimmen Verdacht bestätigen: Leukämie. Das Leben der Familie wird von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt: Monatelange Aufenthalte in der Uniklinik Ulm folgen, belastende Behandlungen, der Wechsel von Hoffen und Bangen. "Allein im Jahr 2014 habe ich 182 Tage in Ulm verbracht", rechnet Julia Kneipp vor. Sie spricht von der Schicksalsgemeinschaft mit anderen Eltern dort, vom täglichen Vergleich der "Leukos und Thrombos", aber auch von der "riesigen Anteilnahme", die die Familie daheim in Leutkirch erfahren hat.
Das gilt in ganz besonderem Maße für die Typisierungsaktion vom September vergangenen Jahres. "Es war sensationell zu sehen, welches Engagement in Leutkirch da war", zeigt sich Julia Kneipp noch heute dankbar. Mit 300 bis 500 Blutspendern habe man gerechnet, 1700 waren es schließlich, die sich typisieren ließen. "Unterschätzen Sie Leutkirch nicht", habe sie die Deutsche Knochenmarkspenderdatei schon im Vorfeld habe sie gewarnt, sagt sie unter dem Beifall der Zuhörer auf dem Gänsbühl. Beifall gibt es auch, als sie erzählt, dass aufgrund der Leutkircher Aktion bereits drei Spender gefunden wurden. Das Wichtigste: "Den Empfängern geht es gut." Das gilt, trotz seines derzeitigen Krankenhausaufenthalts, im Grunde auch für Laurin Kneipp. Ab Herbst wird er wieder in die Schule gehen, in seine alte Klasse sogar. Die Angst vor einem Rückfall aber bleibt: "Es ist", sagt Julia Kneipp, "ein Kampf gegen einen unberechenbaren Gegner."
Den Kampf verloren hat unlängst eine andere Leutkircher Familie – ihr Sohn starb mit drei Jahren. Auf Wunsch von Julia Kneipp geht die Spende des Abends in Höhe von 2571 Euro an diese Familie.
Erfrischend zum Schluss der jüngste der drei Talkgäste: Kevin Prinz aus Aichstetten, 21 Jahre alt, bekennender bunter Vogel und seit kurzem staatlich geprüfter Ensembleleiter Gesang. Dass er beim Auftritt von Jorge Gonzales in Leutkirch die höchsten Highheels trug und die dickste Schminke – für ihn ganz normal. Die Geschlechtergrenzen zu sprengen macht ihm Spaß. "Ich bin manchmal so, wie meine Freunde wären, wenn sie sich trauen würden", sagt er und bekommt dafür viel Applaus. Schon seit zehn Jahren singt er in Aitrach bei Joy of Voice, hat in Musicals gespielt, wird als Sänger engagiert, tourt mit diversen Bands durch die Lande. Eine Rolle, die ihm auf den Leib geschneidert ist, kann er auf die Frage von Raimund Haser nicht nennen. Stattdessen die selbstbewusste Antwort: "Ich entdecke gerade meine Rolle: Wie bin ich, wie klinge ich?"
Wie Kevin Prinz klingt, das bekam das Publikum zum Schluss des Abends natürlich auch noch zu hören: Mit Louis Amstrongs "What a wunderful world", oder "Summertime", begleitet von Just Friends, klang der laue Sommerabend aus.